Inszenierung auf dem Schachbrett
Rezension: Theater der Immoralisten: Emilia Galotti - Eine Inszenierung auf dem Schachbrett
Seit Anfang Dezember zeigen die Immoralisten ihre Interpretation des bürgerlichen Trauspiels von Gotthold Ephraim Lessing. Die Figur der Emilia Galotti ist bei Lessing der Inbegriff der bürgerlichen Moralvorstellung, Tugendhaftigkeit und Unschuld, deren Vorbildlichkeit nur durch die moralischen Ansprüche ihres Vaters übertroffen wird. Ihr Festhalten an Sittsamkeit, Ehre und Moral wird im Rahmen der Handlung durch die Verführungsversuche des Prinzen und die Intrigen seines Marchese Marinelli auf die Probe gestellt, so dass sich Emilia letztlich nur durch den Freitod zu helfen weiß.
Die Immoralisten haben den Stoff von Lessing aufgegriffen um die bürgerliche Tragödie des 18. Jahrhunderts in eine surrealistische Parallelwelt der Jetztzeit zu transferieren. Die Protagonisten des Dramas werden wie Figuren auf einem Schachbrett vor einer schwarz-weißen Kulisse im Stile Victor Vasarelys platziert. Emilia, symbolisch aufgeladen, ganz in weiß gekleidet, agiert wie eine hilflose Figur zwischen all dem anderen Personal. Der Vater von Emilia, Odoardo ist dabei der heldenhafte Kosmonaut der Moral, der, ein bisschen nicht von dieser Welt, in einem Glitzeranzug über die Bühne stolziert um seine Tochter vor dem Leben (in Sünde) zu bewahren. Die Sünde, welche durch den Prinzen und mehr noch durch Marinelli personifiziert wird, erscheint bei den Immoralisten in schwarzer Gestalt mit rockigem Flair. Die Kontrahenten machen ihre Züge im Spiel um Ehre und Leidenschaft so geschickt, dass die leuchtende Figur der Emilia am Ende schachmatt gesetzt wird.
Es entsteht ein rasantes Schauspiel, welches mittels musikalischer Unterstützung von Leonard Cohen Kompositionen kurzweilig ist, und doch nachdenklich stimmt.
Das Schauspiel entführt damit in eine Interpretation des 18. Jahrhunderts, die an Kubricks „Space Odyssee“ und die „The Rocky Horror Picture Show“ erinnert – ein scheinbarer Gegensatz, der aber durch die Stimmigkeit und Glaubwürdigkeit der Akteure und das phantastische Bühnenarrangement aufgehoben wird.
Lessings Kritik an der Willkür und Macht des Adels, der selbst verschuldeten Unmündigkeit des Bürgertums und deren daraus resultierenden Flucht in überhöhte Ehrvorstellungen wird dadurch im Heute erlebbar.
Die moderne Interpretation der Immoralisten ist wie immer exzentrisch, aufregend, aber sehr gelungen.
Anne Gruneberg
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